User talk:ThomasvonderElbe GmxDe/Votorola

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Friedrich Lindenberg (Entwickler von Adhocracy) schrieb:1


Hallo,

(ich bring das jetzt hier mal auf die Mailinglist obwohl die Mail eigentlich an Thomas gerichtet ist; irgendwo muss man ja mal anfangen).

ein Punkt, der bei der Besprechung des Votorola-Konzepts auf dem BarCamp m.E. in großer Verwirrung geendet ist, war die Frage: "Was passiert, wenn sich zu viele Teilnehmer an die oberste Ebene des Positionsbaumes an-delegieren, anstatt die darunter eingeordneten Varianten zu untersuchen?".

Um es noch mal ein wenig aufzurollen: In Votorola werden Vorschläge entwickelt, indem in einem Delegationsbaum die Aspekte einer Debatte aus "der breiten Masse" hin zu einer immer konzentrierteren Wurzel "zentraler Vorschläge" gelobbiet (urgh) werden. Die Delegaten einer unteren Ebene haben dabei ihre gesammelte Delegationsmacht als Verhandlungsargument um für die Integration ihrer Forderungen auf einer Ebene näher der Wurzel zu werben. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn die Stimm-Macht der unteren Ebene für die oberene Ebene einen "interessanten" Umfang erreicht. Sprich: es ist notwendig, dass sich ein Großteil der Stimmen am unteren Ende des Baum anklinkt.

Das halte ich aber für ein gigantisches Zugangs-Problem. Stellen wir uns vor, ein neuer Nutzer "betritt" zum ersten Mal eine Diskussion. Ihm wird zunächst ein grober Überblick über die Debatte präsentiert, bei dem die Wurzel-Vorschläge notwendigerweise eine zentrale Rolle einnehmen. Nach 5 Minuten im System kennt der Nutzer als die N großen Positionen der ersten Ebene im Überblick. Jetzt wählt er (wenn er irgendwie wie ich ist) zwei oder drei davon aus und geht eine Ebene tiefer, um dort jeweils 20 neue Positionen zu entdecken (Thomas' Rechnung für DE). Ich bin jetzt seit 10 Minuten auf der Seite und mittlerweile lese ich fast nur noch die Titel. Vielleicht klicke ich auch mal einen der Vorschläge auf der 2. Ebene an und sehe, wie der sich vom Wurzel-Vorschlag entscheidet... usw.

Das Problem dabei: nach den ersten 5 Minuten sind bereits 80-90% der Nutzer ausgestiegen. Das ist keine pessimistische Vermutung, sondern es ist schlicht die Mathe die alle peer production-Systeme gemein haben [1]. Nach 4:30 kommt also die überwältigende Mehrheit zu der Frage: geh ich jetzt einfach so, oder treffe ich auf der Basis meiner bisher ermittelten Information noch eine Entscheidung? Egal wie die Antwort auf diese Frage aussieht besteht in diesem Modell KEINE CHANCE, dass ein Nutzer an den differenzierten Vorschlag auf der 6. Ebene anknüpfen.

Das einzige Szenario, in dem User direkt unten bei einem "Basis-Vorschlag" anknüpfen ist wenn sie (A) selbst zu der besonders aktiven Minderheit gehören oder (B) von einem Mitglied dieser Minderheit "überredet" wurden. (B) ist besonders spannend, denn es ist letztlich die Idee: ich wähle was/wen ich kenne. Das muss nicht falsch sein (es könnte sogar ein ganz guter Mechanismus sein), aber es hat wenig mit dem Diskurs zu tun, den Votorola verspricht.

Das Problem sind aber die User, die nicht durch ihr soziales Netzwerk (i.S.v. Menschen, nicht Facebook) eine Wahlempfehlung erhalten. Wir können vermutlich nicht wissen, wie groß dieser Anteil ist, aber man darf bezweifeln, dass jeder von uns zu einem beliebigen Thema einen Experten kennt (oder über wenige Grade kennt). Diese Leute könnten Votorola mit einem massiven Matthäus-Effekt [2] ausser Kraft setzen, indem sie an der obersten Ebene andocken. Das ist kein Problem für andere soziale Software, wo die Konzentration der Masse auf wenige Hubs keine Bedeutung für die Entwicklung des Systems hat.

Votorola aber muss der Devise "One Man, One Vote" folgen. Damit werden diese Konzentrationen zum Problem, denn die Delegaten der unteren Eben können nur wohlmöglich nur wenige Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, während eine überwältigende Mehrheit auf der ersten Ebene ankoppelt. Damit geht den "unteren Delegaten" jede Verhandlungsstärke verloren und der Delegationsbaum von Votorola kollabiert in eine Ebene.

Wie kann man das umgehen? LF und Adhocracy machen jeweils nur eine Ebene auf, umgehen das Problem also, indem sie keine übermäßige Vielfalt bei den Vorschlägen fördern und eher zu einer Diskussion bestehender Vorschläge aufrufen.

Ich bin ehrlich gespannt ob wir eine gute Lösung für das Problem finden bzw. ob wir uns auf dessen Existenz einigen können.

Lg, Friedrich

[1] http://libresoft.es/oldsite/downloads/Ineq_Wikipedia.pdf [2] http://www.nd.edu/~networks/Publication%20Categories/01%20Review%20Articles/ScaleFree_Scientific%20Ameri%20288,%2060-69%20(2003).pdf --


Thomas von der Elbe (Projektkoordinater Votorola) antwortete:

Hallo,

sorry, dass ich jetzt erst antworte ... zu viele Baustellen gleichzeitig hier ...

Ok, kurz zusammengefasst: Friedrich sieht zwei Probleme in Votorolas Konzept.

1. Problem: Wenn der Baum eine gewisse Tiefe hat, ist es für einen Neueinsteiger zu mühsam, sich vom Stamm aus seinen Platz in den äußeren Zweigen zu suchen.

Lösung:

a) Dafür hat er eine Suchmaschine (kombiniert mit Klassifizierungs-Tool), die alle Entwürfe filtern kann, z.B. über die Tags Öko, Piraten, Jugend, Datenschutz, Berlin, usw.

b) Aber angenommen, dass er den manuellen Weg gehen will:

Beispiel: eine globale Abstimmung mit 60 Mill. verschiedenen Entwürfen: Der Delegierungsbaum (Gruppen aus jeweils 20 Entwürfen) hätte dann nur eine Tiefe von 5 Ebenen. Der Neueinsteiger müsste also nur 5 x 20 = 100 verschiedene Entwürfe sichten.

Die grobe Auswahl unter den jeweils 20 Entwürfen würde das Klassifizierungs-Tool erleichtern. Für die engere Auswahl hat er ein Diff-Tool zur Unterstützung, d.h. er braucht die Entwürfe nicht zu lesen, sondern nur die Unterschiede zwichen ihnen anzusehen.

c) Wie Friedrich selbst erwähnt: Viele User werden wahrscheinlich eher von ihrem Freundeskreis u.ä. auf spezielle Entwürfe aufmerksam gemacht: "Stimm doch für uns!" Das heisst, sie landen wie Vögel gleich in den äusseren Zweigen. Ich glaube sogar, dass das die häufigste Art des Einstiegs sein wird.

Ich bin der Meinung, das ganze Problem ist eher eins, was auf Adhocracy zutrifft. a) und c) können auch da Abhilfe schaffen, aber in der manuellen Variante b) müsste man als Neueinsteiger Millionen von Entwürfen sichten, statt "nur" 100.


2. Problem: Viele User, die sich weniger stark engagieren möchten, könnten ihre Stimme nah am Stamm platzieren. Dadurch würde den äußeren Delegaten jede Verhandlungsstärke verloren gehen und der Baum kollabiert in eine Ebene.

Lösung:

Solche User in V. wären einfach identisch mit denen in A. und LF., die zwar für einen Vorschlag stimmen, sich dann aber nicht an der Diskussion bzw. den Änderungsvorschlägen beteiligen. Hier wie dort sehe ich kein Problem. Sie wollen über ihre eine Aussage hinaus einfach keinen weiteren Input geben.

Den äußeren Delegaten in V. geht damit auch keine Verhandlungsstärke verloren. Selbst wenn ein Kandidat 10 Mill. Einzel-Wähler hat und ein paar wenige Wähler mit jeweils 100 Stimmen, dann wird er eher mit den Wenigen verhandeln. Das ist ja genau der Knackpunkt: Wie verschaffst du dir Gehör, wenn du nur einer von 10 Mill. bist? Wenn du nicht willst, dass deine Beiträge als Spam verbucht werden, musst du dich mit Gleichgesinnten zusammenschliessen. Wenn ihr zusammen im Chor ruft, werdet ihr eher gehört, als jeder für sich allein. Wird eure Gruppe irgendwann so gross, dass es jetzt auch in ihr schwer wird, gehört zu werden, ist es wieder Zeit eine Untergruppe zu bilden. Der Wunsch gehört zu werden, ist die Triebkraft, die den Baum wachsen lässt. Diejenigen, die sich nicht weiter artikulieren möchten, als mit ihrer einmaligen Stimmenabgabe, stören diesen Prozess in keiner Weise.

Ich sehe durchaus den Reiz in A. und LF., dass alle User am End-Entwurf mitarbeiten können und man nicht 2, 3 oder 4 Delegaten braucht. Aber ich fürchte, der Preis dafür ist das "Herausfiltern" von Minderheiten.

Jede gute Idee nimmt ihren Anfang im Kopf eines Einzelnen oder in einer kleinen Gruppe. Eine winzige Minderheit von 20 Leuten mit einer bahnbrechenden Idee, einer unter 60 Mill. weniger guten Ideen - diese Minderheit findet in Votorola über eine Kette von nur 4 Delegaten auch beim End-Kandidaten Gehör. Was kann eine solche Gruppe in Adhocracy oder LiquidFeedback tun, um unter Millionen anderen gehört zu werden?

IMO bräuchte LF dafür Änderungsvorschläge der Änderungsvorschläge der ... und A bräuchte ... Unterargumente der Unterargumente der Hauptargumente - also auch eine Baumstruktur.


Viele Grüsse, Thomas


Alexander Praetorius schrieb:

zwei Verbesserungsvorschläge:

1. Damit die Spitzen-Delegierten bei ihren Verhandlungen nicht über die Köpfe der Bais hinweg entscheiden, sollte die Basis dann auch noch darüber abstimmen.

2. Bei der Erarbeitung der Entwürfe sollte sich jeder auf jeder thematischen Ebene vom Detail bis zum Gesamtentwurf einbringen, abstimmen und delegieren können. Und nach dieser Bearbeitungsphase sollte dann die Abstimmphase kommen.

Ich finde das wichtig und beides ist mit Votorola auch schon verwirklicht. Allerdings ohne den Gesamtprozess in verschiedene Phasen zu zerteilen, was imho verschiedene Nachteile hätte. D.h.: jeder kann jederzeit seine Stimme zurückziehen oder neu platzieren.


Thomas von der Elbe antwortete:

zu 1. In Votorola hat die Basis über ihre Vertreter und deren Vertreter und ... enormen Einfluß auf den Entwurf ihres Spitzen-Delegierten. Verhält er sich in Verhandlungen mit seiner Basis unkooperativ, verliert er seine Wähler. Aus dem gleichen Grund wird er in Verhandlungen mit anderen Spitzenvertretern immer auch seine Wähler zu Rate ziehen. Denn sie müssen das Ergebnis akzeptieren oder sie werden ihre Stimme zurückziehen.

zu 2. Im Delegierungs-Baum von Votorola kann es innerhalb einer Abstimmung zu einem Thema beliebig viele Äste und Zweige geben, wo sich Wählergruppen zusammenfinden, um spezielle Detail-Lösungen oder auch umfassende Grobfassungen zu erarbeiten, um diese dann über ihren Vertreter in den Rest des Baumes einfliessen zu lassen.

Beides verwirklicht doch Deine Vorstellungen, nich wahr?

Viele Grüsse, Thomas


Alexander Praetorius schrieb:

Nein verwirklicht es nicht so richtig.

Zu 1.: Die Basis soll über jede ausgehandelte Änderung abstimmen dürfen, bevor sie in Kraft tritt.
Aktuell ist es wie ich verstanden habe bei Votorola so, dass man als einfaches "Basismitglied" einfach nur aus dem Baum austreten kann und damit seine Stimme entzieht, quasi als Bestrafung. ...das ist aber eher so ein Abstimmen mit den Füssen (im sinne von weggehen oder bleiben), was nicht so konstruktiv wie Zustimmung zu ausgehandelten Änderungen ist. ...was als Mechanismus ja explizit implementiert werden müsste.

Zu 2.: Vielleicht wäre ein Mechanismus zur Angabe von QUELLEN ganz praktisch. Also in dem beispielhaft beschriebenen AK Justiz-Szenario, dass: Wenn man zb. 5 Teilgebiete einer Justizreform jeweils in Kleingruppen bearbeitet hat, dass diese dann geordnet zusammengeführt werden könnten. Generell sowas wie eie gemeinsam erarbeitete Schnittstellenbeschreibungen zwischen den Teilgebieten oder eine Architektur von mir aus.... in der man die Dinge nun einfügen bzw. zusammenfügen kann.


Thomas von der Elbe antwortete:

Hallo,

Alexander Praetorius schrieb:
> Zu 1.: Die Basis soll über jede ausgehandelte Änderung abstimmen dürfen,
> bevor sie in Kraft tritt.
>

Das sehe ich genauso ... kein Problem mit Votorola. Die Wähler legen selber fest, wann in Votorola eine Abstimmung "in Kraft tritt", wie Du es nennst, d.h. wann konkrete Handlungen folgen.

> Aktuell ist es wie ich verstanden habe bei Votorola so, dass man als
> einfaches "Basismitglied" einfach nur aus dem Baum austreten kann und damit
> seine Stimme entzieht, quasi als Bestrafung. ...

Nee, Du hast als Wähler in Votorola viel mehr Möglichkeiten. Du kannst mit Deinem Delegaten über jedes Detail verhandeln. Du kannst Dich mit Deinen Co-Wählern im Baum verbünden und zusammen könnt Ihr noch mehr Druck auf Euren Vertreter ausüben. Ein noch stärkeres Mittel ist, Dir einen neuen Vertreter zu suchen; jemanden, der die ausgehandelten Änderungen auch ablehnt. Deine Stimme ganz zu entziehen ist nur das letzte Mittel.

> Zu 2.: Vielleicht wäre ein Mechanismus zur Angabe von QUELLEN ganz
> praktisch. Also in dem beispielhaft beschriebenen AK Justiz-Szenario, dass:
> Wenn man zb. 5 Teilgebiete einer Justizreform jeweils in Kleingruppen
> bearbeitet hat, dass diese dann geordnet zusammengeführt werden könnten.

Wenn ich Dein Anliegen richtig verstehe, passiert das im Votorola-Baum automatisch. Egal aus welchem Zweig welche Idee zu welchem Teilgebiet einfliesst, ab Ende treffen sie alle im Stamm des Baumes zusammen. Die Aufgabe der Vertreter dort ist es, sie konsens-fähig zusammenzufügen. Aber Du hast Recht mit der Übersichtlichkeit: was noch fehlt bei Votorola, ist eine Suchfunktion über Tags o.ä., damit jeder leicht die für ihn interessanten Stellen im Baum finden kann.

Grüsse, Thomas


Fussnoten

  1. ^ Diese Diskussion fand auf der email-liste des Liqd e.V. statt: http://lists.liqd.net/cgi-bin/mailman/listinfo/work


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